Ausschlussfrist und Nachweisgesetz

Arbeitsvertrag
Ausschlussfrist ohne Kenntnis? – Neues vom BAG zum Nachweisgesetz

Eine Ausschlussfrist kann etwas so formuliert sein:

„Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit in Textform geltend gemacht werden.“

Verstreicht die Frist ungenutzt, kann der Arbeitnehmer seine Ansprüche nicht mehr geltend machen. Deshalb handelt es sich um eine wesentliche Vertragsbedingung, die dem Arbeitnehmer nachzuweisen ist, § 2 NachwG. Die Frage ist nur, wie der Arbeitgeber den Nachweis gestalten muss.

Wenn die Ausschlussfrist direkt im Arbeitsvertrag steht, ist der Arbeitnehmer informiert und kann rechtzeitig handeln.

Wenn die Ausschlussfrist im Tarifvertrag steht, reicht es aus, dass der Arbeitsvertrag einen allgemeinen Hinweis auf den Tarifvertrag beinhaltet, § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG. Das gilt nach der Rechtsprechung des BAG sowohl in dem Fall, dass der Tarifvertrag normativ gilt, als auch in dem Fall, dass der Tarifvertrag nur kraft Bezugnahme gilt.

So BAG, Urteil vom 23.01.2002, 4 AZR 56/01; BAG, Urteil vom 17.04.2002, 5 AZR 89/01.

Wenn die Ausschlussfrist in einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung steht (z.B. KAVO, AVR Caritas, BAT-KF, AVR Diakonie), reicht der Hinweis darauf nicht. Vielmehr muss die Ausschlussfrist im Volltext nachgewiesen werden, d.h. die Regelung muss im Arbeitsvertrag wiederholt werden. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Nachweispflicht und verpasst der Arbeitnehmer die Ausschlussfrist, weil er sie nicht kennt, hat er einen Anspruch auf Schadensersatz. Er ist so zu stellen, als hätte er die Frist nicht versäumt.

So nun BAG, Urteil vom 30.10.2019, 6 AZR 465/18, Pressemitteilung Nr. 36/29.

Das Urteil ist für Arbeitnehmer ein Gewinn, für Arbeitgeber ein Warnsignal und eine Aufforderung, die eigenen Arbeitsverträge zu überprüfen.

Zusammenfassung des Rechtsstreits:

Der Kläger war 20 Jahre bei der Beklagten als Küster und Reinigungskraft angestellt. Die Parteien streiten (immer noch) um Gehaltsnachzahlungen für mehrere Jahre infolge einer unterbliebenen Höhergruppierung durch Bewährungsaufstieg. Der Arbeitsvertrag enthält folgenden Hinweis:

„Die kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) ist in ihrer jeweiligen Fassung einschließlich der Anlagen Bestandteil dieses Vertrages.“

§ 57 Abs. 1 KAVO enthält eine Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit.

Die Klage wurde vom ArbG Düsseldorf (Urteil vom 12.01.2017, 10 Ca 4540/16) und vom LAG Düsseldorf (Urteil vom 10.04.2018, 3 Sa 144/17) abgewiesen. Die Ansprüche auf Gehaltsnachzahlung seien aufgrund der Ausschlussfrist verfallen. Dass der Kläger keine Kenntnis von der Ausschlussfrist hatte, sei unbeachtlich. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG genüge ein Hinweis auf den Tarifvertrag als Nachweis der Ausschlussfrist, selbst dann, wenn der Tarifvertrag nur kraft Bezugnahme, also nicht normativ gilt. Dazu verwies das LAG auf die Rechtsprechung des BAG (siehe oben).
Das gelte analog für die KAVO. Ein Anspruch auf Schadensersatz bestehe somit nicht.

Das BAG hat das Urteil des LAG aufgehoben und den Rechtstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Es sei noch unklar, ob die Voraussetzungen für den Bewährungsaufstieg vorlagen. Falls dies der Fall war, sei der Anspruch auf höheres Gehalt wegen der Ausschlussfrist verfallen. Der Kläger habe aber einen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280, 249 BGB in gleicher Höhe, weil ihm die Ausschlussfrist nicht ordnungsgemäß nachgewiesen wurde. Es genügt weder ein einfacher Hinweis nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG noch ein qualifizierter Hinweis nach § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG, denn diese Vorschriften sind auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen nicht anwendbar.

§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG gilt seinem Wortlaut nach für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, während § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG auch für „ähnliche Regelungen“ gilt. Darunter fallen unstreitig auch kirchliche Arbeitsrechtsregelungen, wie hier die KAVO. Aus dem Vergleich der Vorschriften ergibt sich, dass § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG nicht direkt für die kirchlichen Regelungen gilt.

Das LAG hat § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG analog auf die KAVO angewandt, das BAG nicht. Die Voraussetzungen für eine Analogie sind eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage. Eine planwidrige Regelungslücke enthalte das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber hat die kirchlichen Regelungen gerade nicht komplett gleichgestellt mit den Tarifverträgen.

Durch einen qualifizierten Hinweis nach § 2 Abs. 3 Satz 1 NachwG können nur die Angaben zu Arbeitsentgelt, Arbeitszeit, Urlaub und Kündigungsfrist ersetzt werden, nicht aber die Ausschlussfrist. Auch insoweit scheide eine Analogie mangels Regelungslücke aus, so das BAG.

Anmerkung:

Praktisch macht es keinen Unterschied, ob der Arbeitsvertrag zwischen nicht tarifgebundenen Parteien auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt oder auf eine krichliche Arbeitsrechtsregelung.
Wegen der unterschiedlichen Rechtsqualität reicht dem BAG im Fall des Tarifvertrages ein allgemeiner Hinweis, im Fall von kirchlichen Regelungen dagegen nicht.
Das BAG sollte seine Rechtsprechung hinsichtlich der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag überdenken, denn die Interessenlage ist die gleiche wie bei kirchlichen Regelungen. Der Arbeitnehmer muss wissen, was gilt.

So wird in der Literatur vertreten, dass ein allgemeiner Hinweis nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG nur ausreicht, wenn der Tarifvertrag normativ gilt. Der Arbeitnehmer soll durch den Hinweis erfahren, dass neben den Bedingungen des Arbeitsvertrages weitere Bedingungen eines Tarifvertrages wie Gesetze für sein Arbeitsverhältnis gelten. Über § 8 TVG (Bekanntgabe des Tarifvertrages im Betrieb) ist sichergestellt, dass der Arbeitnehmer sich Kenntnis verschaffen kann. Zudem kann er sich den Tarifvertrag über „seine“ Gewerkschaft besorgen.

Wenn man § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 NachwG auch bei der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag anwendet, kann es passieren, dass der Arbeitnehmer tarifliche Vorschriften beachten muss, die er nicht kennt. Durch die Bezugnahme wird der Tarifvertrag Bestandteil des Arbeitsvertrages wie Allgemeine Geschäftsbedingungen. Im Arbeitsrecht ist die Kenntnis der AGB / des Tarifvertrages keine Voraussetzung für die wirksame Einbeziehung, denn § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 BGB sperrt § 305 Abs. 2 und 3 BGB. Der Gesetzgeber dachte sich dabei, dass der Fall vom Nachweisgesetz geregelt wird, aber laut BAG verlangt das Nachweisgesetz keine Kenntnisvermittlung, nur einen allgemeinen Hinweis. Bekanntmachen muss der Arbeitgeber den Tarifvertrag nach § 8 TVG nicht, weil die Vorschrift nur für einen Tarifvertrag mit normativer Geltung greift. Ohnehin ist dies eine sanktionslose Ordnungsvorschrift. Von der Gewerkschaft erhält der Arbeitnehmer den Tarifvertrag nicht, denn er ist gerade nicht deren Mitglied (sonst würde der Tarifvertrag normativ gelten). Der Arbeitgeber, der nicht dafür sorgt, dass der Arbeitnehmer Kenntnis vom Tarifvertrag nehmen kann, macht nichts falsch und schuldet deshalb keinen Schadensersatz. Der Arbeitnehmer ist im Ergebnis an eine vertragliche Regelung gebunden, die er nicht kennt. Das widerspricht den Grundsätzen des Vertragsrechts. Dass eine Regelung, die man nicht kennt, trotzdem gilt, ist die unmittelbare Wirkung von Gesetzen und normativ wirkenden Tarifverträgen. Insofern stimmt der Satz, für die Anwendbarkeit einer tariflichen Ausschlussfrist kommt es nicht auf die Kenntnis des Berechtigten an (BAG, Urteil vom 16.11.1965, 1 AZR 160/65, und vom 16.08.1983, 3 AZR 206/82). Das lässt sich aber gerade nicht auf den Fall übertragen, dass der Tarifvertrag nur Kraft Bezugnahme gilt (falsch ist daher der Verweis auf die vorstehenden Urteile durch BAG, Urteil vom 23.01.2002, 4 AZR 56/01).

Zum Schutz der Arbeitnehmer wäre es daher sinnvoll, wenneine Ausschlussfrist nicht nur von kirchlichen Arbeitgebern im Volltext nachzuweisen wäre, sondern auch von Arbeitgebern, die einen Tarifvertrag anwenden wollen, der nicht normativ gilt.

Der Nachweis der Arbeitsbedingungen ist ein wichtiger Baustein zum Schutz der Arbeitnehmer. Die besondere Bedeutung zeigt sich auch daran, dass die Nachweisrichtlinie überarbeitet wurde. Vgl. die Richtlinie 2019/1152 vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union, ABl. L 186 vom 11.7.2019, S. 105–121, in Kraft seit 1. August 2019, in nationales Recht umzusetzen bis 1. August 2022. Die Richtlinie 91/533/EWG wurde mit Wirkung zum 1. August 2022 aufgehoben.
In der neuen Richtlinie werden jetzt bestimmte Arbeitnehmergruppen bzw. Situationen erfasst, nämlich Leiharbeitnehmer, unregelmäßige Arbeitszeiten, Abrufarbeit, Probezeit, Pflichtfortbildungen.
Der Arbeitgeber muss den Nachweis in Papierform aushändigen oder sicherstellen, dass der Arbeitnehmer sich den Nachweis ausdrucken kann.
Bestimmte Arbeitsbedingungen müssen innerhalb von 7 Kalendertagen ab dem ersten Arbeitstag nachgewiesen werden, nämlich Angaben zu den Parteien, Arbeitsort, Art der Tätigkeit, Beginn und (bei Befristung) Ende, Probezeit, Vergütung, Arbeitszeit. Die übrigen Informationen sind innerhalb eines Monats ab dem ersten Arbeitstag nachzuweisen.
Das Nachweisgesetz muss noch entsprechend geändert werden.

März 2020
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